sehepunkte 25 (2025), Nr. 6

Roland Kanz: Skulptur des 18. Jahrhunderts in Deutschland

Die vorliegende Monografie zur deutschen Bildhauerkunst des 18. Jahrhunderts stellt das erste umfassende Überblickswerk zu diesem Thema seit 70 Jahren dar und darf schon aus diesem Grund ein besonderes Interesse der Fachwelt für sich beanspruchen. Umso mehr, als Roland Kanz sich methodisch klug dafür entschied eine "Kunstgeschichte nach Aufgaben" zu betreiben anstatt Künstlerbiografien mit beigefügten Werkmonografien zu erarbeiten. Diese Vorgehensweise ermöglicht nämlich nicht nur die Verfolgung künstlerischer Lösungen in den einzelnen Gattungen und Untergattungen der Skulptur, sondern auch den Nachvollzug der künstlerischen Entwicklung im Großen wie in den Details.

Dies geschieht in acht Großkapiteln, wobei methodisch induktiv vorgegangen wird. Die einzelnen Abschnitte widmen sich Reiterstandbildern, Monumenten und Standbildern; Memorialskulpturen; Bauskulpturen; sakralen Bildwerken; Porträtbüsten; Gartenskulpturen und der ästhetischen Gestaltung von Bildwerken. Sie stecken also das gesamte Feld barocker Bildhauerkunst ab. Ihnen sind Analysen von fast allen kunsthistorisch namhaften Einzelwerken und Werkkomplexen ein- und untergeordnet. Dazu zählen unter anderem das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten in Berlin sowie der Goldene Reiter in Dresden, die Klosterkirchen in Zwiefalten und Weltenburg, die Gartenskulptur in Schloss Sanssouci, das Monument im Schlossgarten von Erlangen. In diesem Zusammenhang werden auch herausragende Künstlerpersönlichkeiten und ihre Hauptwerke, darunter Andreas Schlüter und die Brüder Asam, angemessen gewürdigt. Immer wieder wird der Blick auf auch bedeutsame Details gelenkt, wie die Fassadengestaltung von Kloster Weltenburg, so dass auch Kennerinnen und Kenner noch neue Erkenntnisse gewinnen können. Aufgrund seines umfassenden Charakters eignet sich das Buch zudem auch sehr gut als Handbuch bzw. Nachschlagewerk in der heimischen Bibliothek.

Zunächst ist neben der angemessen kritischen Reflektion der Erforschung der deutschen Barockskulptur im 20. Jahrhundert der methodische Zugriff auf das Thema in Anlehnung an Gedanken von Wilhelm Pinder und Otto Pächt zu würdigen. Stellte Pinder sich zunächst allgemein die Frage nach der "Semantisierung der Form und ihr(em) Verhältnis zu Formaufgaben" "als Gelegenheiten, die Form zu entfalten", ging es Pächt vor allem um den "'Gesichtspunkt einer Aufgabelösung'". Somit steht richtigerweise das "Verhältnis von Auftrag und Aufgabe sowie künstlerischer Invention, Intention und Gestaltung in Hinsicht auf den jeweils konkreten Ort" im Zentrum von Kanz' Überlegungen (17).

Die anschaulich und flüssig formulierten Untersuchungen einzelner Kunstwerke unter Einbeziehung ihrer Aufstellungsorte und der Vorstellungen ihrer Auftraggeber werden mit ausgreifenden Exkursen zu wichtigen Spezialthemen der barocken Bildhauerei und der ihr verbundenen Fassmalerei verbunden. Dazu gehören vor allem die unterschiedlichen Qualitäten des Lichts und seine Wirkung im barocken Sakralraum vor dem Hintergrund der theologischen und ästhetischen Reflexionen der Zeit ebenso wie das Verständnis der barocken Engel und der von ihnen vertretenen theologischen Bedeutungsebenen. Hier entfaltet der Autor sein ganzes analytisches Können.

Neben der Rezeption und Verbreitung normsetzender Werke der römischen Barockskulptur insbesondere von Gian Lorenzo Bernini in der zeitgenössischen Druckgrafik wird auch die literar- und kunsttheoretische Diskussion von Kunstwerken, namentlich der Laokoon-Gruppe, reflektiert. Zugleich wird die Entwicklung der Bildhauerkunst im Alten Reich immer vor der europäischen Folie betrachtet, insbesondere mit Blick auf die Höfe in Wien und Versailles. Hieraus ergeben sich beispielsweise interessante Seitenblicke auf die Vorbildwirkung der Wiener Bleiplastik von Paul Strudel und Georg Raphael Donner für andere Bildhauer im Alten Reich. Die aktuelle Forschungsliteratur wird ebenfalls kritisch diskutiert, so die von Hans-Ulrich Kessler vertretene einseitige Inanspruchnahme von Bernini als Vorbild für Paul Egells Tabernakelengel (388).

Ebenfalls nicht zu vergessen ist die qualitätsvolle Ausstattung des gesamten Bandes mit hochwertigen Abbildungen bedeutender Anlagen, wie beispielsweise dem Potsdamer Neuen Palais, dem Dresdner Zwinger und dem Schlossgarten Weikersheim, aber auch von prominenten Ensembles und Einzelwerken. Letztere führen der Betrachterin und dem Betrachter besonders die kunstvollen Inkarnatfassungen einzelner Bildwerke eindrucksvoll vor Augen.

Insgesamt bleibt zu konstatieren, dass der Verfasser eine Monografie vorgelegt hat, die das Zeug zum Standardwerk hat und sicher für viele Jahre ihren Platz in der Forschungsliteratur zur Bildhauerkunst des 18. Jahrhunderts in Deutschland behaupten wird. Roland Kanz ist hier ein großer Wurf gelungen, der besondere Anerkennung verdient.

Rezension über:

Roland Kanz: Skulptur des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2024, 632 S., 607 Farb-, 59 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-1254-5, EUR 49,95

Rezension von:
Stefanie Leibetseder
Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Stefanie Leibetseder: Rezension von: Roland Kanz: Skulptur des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/06/38934.html


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